Keimhemmung

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Keimhemmung ist ein Oberbegriff für alle Eigenschaften, die einen Samen an der sofortigen Keimung hemmen. Keimhemmung kann chemische, hormonelle und physikalische Ursachen haben, die auch in Kombinationen vorkommen. Durch die Keimhemmung wird der Zeitpunkt der Keimung auf eine für die Jungpflanze günstige Zeit verschoben. Man spricht bis zur Aufhebung der Keimhemmung auch von Samenruhe oder Dormanz.

Zweck der Keimhemmung

Ein sofortiges Keimen eines reifen Samens ist in der Natur in den wenigsten Fällen zweckmäßig. Häufig würden die Samen noch an der Mutterpflanze keimen und könnten so mit ihren Wurzeln nicht den Boden erreichen. Aber auch die Umwelteinflüsse müssen für die Entwicklung der Jungpflanze günstig sein.

Winterschutz

In unseren Breiten reifen viele Samen im Herbst. Eine schnelle Keimung würde somit zum unweigerlichen Erfrieren der Jungpflanzen im Winter führen. Die Samen brauchen daher eine sichere Möglichkeit, um erst im nächsten Frühjahr zu keimen.

Manche Keimlinge können dabei direkt die Temperaturschwankungen erkennen und durch hormonelle Änderungen die Keimung auslösen. Andere haben eine passive "Zeitschaltuhr" in Form von harten Schalen. Die halten den Samen geschützt vor anderen Keimauslösern wie z.B. Feuchtigkeit. Erst wenn sich die Schale natürlich zersetzt hat, kann der Keim austreiben. Das klassische Beispiel für diese Form der Keimhemmung ist die Haselnuss.

Verbreitung

Viele Pflanzen haben Verfahren entwickelt, wie sie ihre Samen in einem großen Umfeld verteilen können. Die beste Wirkung hat dies, wenn die Samen erst nach der Verteilung keimen können.

Hier ist das klassische Beispiel die Verteilung durch Vögel bei Beeren und Obst. Das Fruchtfleisch dient dabei als Lockstoff um den Vögeln den Transportdienst schmackhaft zu machen. Gleichzeitig übernimmt es aber die Funktion des Keimhemmers. Denn das Fruchtfleisch enthält auch chemische Verbindungen, die den Samen am Keimen hindern. Erst nachdem z.B. die Kirsche durch den Darm des Vogels gewandert und das Fruchtfleisch vollständig verdaut wurde, ist der Samen keimfähig. Er wird dann vom Vogel weit entfernt und direkt mit einer Portion natürlichem Dünger abgeworfen. So kann der Samen zur weiten Verbreitung seiner Art beitragen.

Trockenschutz

Nicht nur Frost, auch anhaltende Trockenheit kann tödlich für Jungpflanzen sein. Das Extrembeispiel sind hier Wüsten, aber auch in anderen Regionen kommt es zu einem ausgeprägten Wechsel zwischen Trocken- und Regenzeiten. Die Keimhemmung kann in solchen Situationen sicherstellen, dass die Jungpflanze genügend Wasser vorfindet.

Die Erkennung der Feuchtigkeit kann dabei durch eine hormonelle Steuerung im Keim ablaufen. Der Samen kann aber auch mit einer keimhemmenden Schicht überzogen sein, die vom Regen abgespült wird.

Ausprägung der Keimhemmung

Die Ausprägung von Keimhemmung ist durch Diversität und Variabilität gekennzeichnet. Diversität bedeutet in diesem Fall, dass unterschiedliche Arten sehr unterschiedliche Formen von Keimhemmungen zeigen können. Selbst bei gleichem Mechanismus zur Keimhemmung kann die Ausprägung zwischen den Arten sehr unterschiedlich sein. Variabilität bedeutet, dass auch innerhalb einer Art oder sogar innerhalb einer Population variable Verhaltensmuster bei der Keimhemmung zu beobachten sind. Das heißt: Bei zwei direkt nebeneinander wachsenden Pflanzen der gleichen Art kann die Keimhemmung der Samen unterschiedlich ausgeprägt sein.

Viele Faktoren können sich auf die Variabilität auswirken und sie sind noch nicht abschließend untersucht. Bisher geht man davon aus, dass der Erntezeitpunkt und die Wachstumsbedingungen der Mutterpflanze auf jeden Fall Einfluss auf die Ausprägung der Dormanz haben.

Zusätzlich muss man zwischen erblicher und induzierter Keimhemmung unterscheiden. Die erbliche, angeborene Keimruhe wirkt sich direkt und unabhängig von äußeren Einflüssen aus. Sie ist dem Samen also schon angeboren und muss nicht erst ausgelöst werden. Induzierte Keimhemmung wird dagegen erst von außen ausgelöst. Ein Samen, der eigentlich Keimfähig wäre, wird durch Umweltbedingungen in eine Ruhephase gezwungen. So kann eine lange Trockenphase eine Keimhemmung auslösen, die dann erst durch eine längere feuchte Phase wieder aufgehoben wird.

Arten von Keimhemmung

Keimhemmung wird als Oberbegriff für ganz verschiedenen Mechanismen verwendet, die nur ein gemeinsam haben: Sie verschieben den Keimzeitpunkt.

Chemische Keimhemmung

Chemische Verbindungen können das Wachstum eines Keims verhindern. Sie kommen im Fruchtfleisch, das den Samen umgibt oder in der Schale vor.

Der Abbau dieser chemischen Komponenten kann ganz unterschiedlich stattfinden. Sie können von Tieren verdaut , durch Hitze zersetzt oder von Wasser aufgelöst werden. In jedem Fall keimt der Samen erst, wenn er keinen Kontakt mehr mit der hemmenden Substanz hat.

Hormonelle Keimhemmung

In einem Samen befindet sich bereits ein kompletter Pflanzenembryo. Da die Befruchtung schon in der Blüte stattfindet, ist ein Samen schon ein Lebewesen, vergleichbar mit einem Ei. Dieser lebende Keim hat einen Stoffwechsel und einen Hormonhaushalt, welcher durch verschiedene Faktoren der Umwelt beeinflusst werden kann. So werden Wachstumsprozesse im Embryo indirekt von außen gesteuert.

Hormonelle Vorgänge können durch verschiedene Einflüsse gleichzeitig angeregt werden. Die genauen Abläufe können kompliziert und schwer nachvollziehbar sein. Die grundsätzlichen Mechanismen sind aber klar. Bekannt ist zum Beispiel die Reaktion auf eine Temperaturveränderung.

Sogenannte Frostkeimer benötigen eine längere Zeit niedrige Temperaturen, z.B. unter 10°Celsius für zwei Monate. Erst dann sind ihre Prozesse bereit für eine Keimung.

Faktoren für Hormonumstellungen

Die Forschung an den hormonellen Mechanismen der Keimhemmung ist noch nicht abgeschlossen. Schon jetzt kennen wir jedoch eine Reihe von äußeren Einflüssen, die sich auf den Hormonhaushalt des Keims auswirken können.

Dazu gehören unter anderem:

  • Zeit
  • Durschnittstemperatur
  • Temperaturveränderungen
  • Temperaturmaxima / -minima
  • Licht
  • Wellenlänge des Lichts
  • Nährstoffe
  • Sauerstoff
  • Feuer / Rauch
  • Wasser / Feuchtigkeit
  • PH-Wert

Je nach genetischer Anlage des Keimlings können diese Faktoren unterschiedlichen Einfluss auf das Keimverhalten des Samens haben. Dadurch haben sich evolutionär eine Vielfalt an Möglichkeiten entwickelt, wie ein Samen seine Umwelt "wahrnehmen" kann. Der Keimzeitpunkt hängt so von den genauen Bedingungen um den Samen ab.

Das einfache klassische Bild "Wasser + Wärme = Keimung" kann damit als überholt gelten.

Physikalische Keimhemmung

Der Schutz des Keimes vor äußeren Einflüssen, kann die Keimung auf physikalische Weise verzögern. In der Natur weit verbreitet sind harte Schalen um den eigentlichen Samen herum. Man findet sie bei Nüssen und Eicheln, aber auch bei Steinobst wie Kirschkernen und Pflaumenkernen.

Die Keim kommt durch die harte Hülle nicht in Kontakt mit Keimauslösern. Vor allem Feuchtigkeit kann nicht eindringen. So bleibt der Samen in seiner Ruhephase, bis die Hülle weit genug zersetzt ist.

Durch das reine Entfernen der Schale kann aber nicht immer eine direkte Keimung ausgelöst werden. Es kann stattdessen sein, dass der Keim zusätzlich weitere Auslöser zur Keimung benötigt.

Unreife als Keimhemmung

In manchen Samen ist der Pflanzenembryo noch nicht vollständig entwickelt, wenn die Frucht von außen Reif erscheint. So muss bei einigen Bäumen der Samen noch nach dem abfallen vom Baum nachreifen. Dies kann je nach Pflanze unterschiedlich lange dauern. Als Beispiel werden für Walnüsse Entwicklungszeiten von bis zu 6 Monaten angenommen.

Ist der Samen noch unreif und der Embryo also noch unvollständig entwickelt, kann selbst bei sonst optimalen Bedingungen keine Keimung einsetzen. Die Samen benötigen also zwingend eine Ruhephase und gehen auf keinen Fall direkt nach dem Abfallen oder Einsammeln auf.

Beispiele für Keimhemmung

Art der Keimhemmung Beispiele
Chemische Keimhemmung Apfel, Tomate, Hagebutte
Hormonelle Keimhemmung Rosen, Thuja, Akazie
Physikalische Keimhemmung Haselnuss, Kirsche, Bohnen
Unreife Feldahorn, Hainbuche, Walnuss
keine Keimhemmung Weiden, Anthurien, Helleborus

Samen ohne Keimhemmung

Manche Pflanzen haben sich auf andere Arten auf ihre Umweltbedingungen eingestellt. Wenn die Samen zum Beispiel sowieso zu einer günstigen Zeit wie etwa im Frühling reifen, dann können sie auch sofort keimen und benötigen keine Keimhemmung. Manche Jungpflanzen sind auch so Frostresistent, dass sie den Winter unbeschadet überstehen können.

Ein eindrückliches Beispiel hierfür sind Helleborus orientalis Hybriden: Ihre Samen sind Keimfähig, direkt nachdem sie im Sommer aus der Blüte fallen. Die Jungpflanzen sind dabei so frosthart, dass sie problemlos in einem Eiswürfel eingefroren werden können, ohne Schaden zu nehmen. Sie bleiben dabei Wintergrün und können im nächsten Frühjahr direkt die ersten Sonnenstrahlen für ihr Wachstum nutzen.

Brechen der Keimhemmung

Gärtner versuchen durch verschiedene Verfahren die Keimhemmung zu verkürzen oder aufzuheben (zu brechen), um eine gezielte Aussaat mit gleichmäßiger Keimrate möglich zu machen.

Grundsätzlich kann man auf natürliche Prozesse vertrauen, um die Keimhemmung abzubauen. Wenn dieser Prozess aber den Darm eines Tieres beinhaltet, ist die Stelle der Aussaat relativ zufällig. Auf solche natürliche Aussaaten wird zum Beispiel beim Blackbox Gardening gesetzt.

Spätestens bei nicht einheimischen Arten mit speziellen Faktoren bei der Samenruhe, wie z.B. Samen die nur nach Waldbränden keimen, wird es schwierig diese Pflanzen zu ziehen, ohne die Keimruhe künstlich zu überwinden.

Stratifikation

Stratifikation oder Stratifizierung ist eine Methode die hormonelle Uhr von Pflanzen gezielt zu steuern. Eigentlich bedeutet das lateinische Wort stratum auf deutsch Schicht. Der Begriff stammt daher, dass die Samen klassisch in verschiedenen Substraten geschichtet wurden. Auch heute noch schichtet man die Samen gerne in scharfkantigen Sand. Dieser hält die Feuchtigkeit gut und kann durch seine Scharfkantigkeit als Nebeneffekt die Samen skarifizieren und damit die Keimung noch weiter verbessern. Manche Samen kann man aber auch einfach in Tüten in einen Kühlschrank legen und spricht trotzdem von Stratifikation.

Zu Unterscheiden ist zwischen der Kalt-Stratifikation und der Warm-Kalt-Stratifikation. Beim kalten stratifizieren werden die Samen eine Zeit lang einer Temperatur zwischen 2 und 8°C ausgesetzt. Dadurch wird die hormonelle Keimhemmung abgebaut. Werden sie dabei zusätzlich gezielt der Witterung ausgesetzt, können weitere Arten von Keimhemmung abgebaut werden. Zum Beispiel zersetzt sich mit der Zeit die Samenschale. Die klassische Methode sollte abgewandelt werden, wenn es zusätzliche Erkenntnisse zur Art des Samens gibt. Zum Beispiel sind die Ergebnisse bei manchen Kaltkeimern besser, wenn sie im Gefrierfach gezielt Minusgraden ausgesetzt werden.

Die Warm-Kalt-Stratifikation läuft im Grund genau wie die Kalt-Stratifikation ab. Nur wird am Anfang eine kürzere Phase von wenigen Wochen mit Temperaturen um 20°C eingeschoben. Diese dient vor allem zum Aufquellen von harten Samenschalen und wird daher vor allem bei entsprechenden Samen wie z.B. Eibe empfohlen.

Skarifikation

Das gezielte Einritzen von Samenschalen wird skarifizieren (lat. scarificatio: das Ritzen, vergleiche auch englisch scar: Narbe) gennant. Es dient dazu gezielt und schnell die physikalische Keimhemmung dicker Samen und Nüssen aufzuheben.

Je nach Samen können dabei verschiedene Methoden angewendet werden. Bei kleineren Samen kann schon rauer Sand ausreichen. Bei gröberen Samen kann Schmirgelpapier verwendet werden. Auch das gezielte Anritzen mit dem Messer ist möglich. Hierbei besteht jedoch die Gefahr den Embryo zu verletzen. Diese Methode sollte daher sehr gezielt und vorsichtig bei entsprechenden Samen verwendet werden.

Häufig hebt die Skarifikation die Keimhemmung noch nicht gänzlich auf, erleichtert aber weitere Prozesse, wie das Einweichen, Quellen und zersetzen der Samenschale. Der Prozess wird so deutlich verkürzt.

Fermentieren / Nassreinigung

Um das Fruchtfleisch vom Samen zu trennen und so die chemische Keimhemmung zu brechen, können die Samen fermentiert oder einfach nur Nass gereinigt werden. In der Natur wird dieser Prozess normalerweise von den Verdauungsorganen der Tiere erledigt, die die Früchte fressen.

In vielen Fällen lässt sich das Fruchtfleisch gut vom Samen trennen und kann mit einem scharfen Wasserstrahl abgespritzt werden. Dies ist neben der Keimhemmung auch wichtig für die Lagerfähigkeit (Vermeidung von Schimmel).

Bei klebrigem Fruchtfleisch oder wenn bekannt ist, dass die Samen nach einer Gärung besser keimen, können die Früchte fermentiert werden. Sie werden dazu kontrolliert vergärt. Je nach Frucht kann dies im Detail anders geschehen, grundsätzlich wird jedoch Wasser und Zucker zugesetzt und das Gemisch warm und hell gelagert, bis das Fruchtfleisch sich zersetzt und vom Samen löst.

Andrea Heistinger empfiehlt diese Behandlung bei Tomaten- und Gurkensamen. Erfolgreich war die Behandlung, wenn die Samen zu Boden sinken und das Fruchtfleisch zur Oberfläche steigt, oder wenn sich die Samen nicht mehr glitschig sondern rau anfühlen. Dies sollte schon nach 24 bis 48 Stunden der Fall sein. Empfohlen werden dabei Temperaturen zwischen 23°C und 30°C. Die Samen können dann durch abspülen und abgießen vom Fruchtfleisch separiert werden.

Bei manchen Pflanzen kann es während der Fermentierung zur spontanen Keimung kommen. Die Samen sind dann nicht mehr lagerfähig. Die Gärung sollte daher nur so kurz wie nötig durchgeführt werden.

Spezielle Behandlungen

Bei exotischen Pflanzen und Pflanzen mit speziellen Faktoren zur Hormonumstellung kann es nötig sein eine sehr spezifische Behandlung zur Brechung der Keimruhe durchzuführen. Die kann sehr unterschiedlich aussehen und muss spezifisch für den speziellen Samen angepasst werden. Beispiele für solche Methoden sind die Behandlung mit Rauch und Feuer, lange oder wechselnde warme und kalte Perioden oder sehr langes einweichen der Samen.

Teilweise kann sehr viel Geduld und Fachwissen nötig sein um einen Samen zur Keimung zur bewegen.

Dauer der Dormanz

Die Länge der Dormanz kann sehr unterschiedlich ausfallen. Typisch sind wenige Monate (z.B. ein Winter) bis zu mehreren Jahren (z.B. bis zum nächsten Waldbrand). Während der Dormanz befindet sich im Samen jederzeit ein lebender Pflanzenembryo, der atmet und Nahrung verbraucht. In den meisten Fällen stirbt dieser Embryo nach überschaubarer Zeit ab, wenn er nicht keimen kann. Durch optimale Lagerbedingungen kann sein Stoffwechsel aber verlangsamt werden. Vor allem kühl gelagerte Samen können teilweise sehr lange lebendig und keimfähig bleiben.

Bekannt wurden der Fall eines 2.000 Jahre alten Dattelsamens der noch keimte und ein 30.000 Jahre alter Samen aus einem Permafrostboden, aus dem Forscher eine blühende Pflanze zogen.

Weblinks

Siehe auch

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